Freitag, 24. April 2009
Miklós Dolinszky: Apokalypse, 21. Jahrhundert (apokryphisches Fragment)
Gábor Gadó: „Byzantinum“, BMC Records, BMC CD 137.
...
9. Und der Herr sprach: Lasst den Teufel nicht an euch heran. Denn indem man sich selbst als Gott wahrnimmt, sagt man auch, dass der Teufel in der Welt existiert.
10. Ihr müsst den Teufel bekämpfen und ihr müsst ihn besiegen, aber ihr dürft nicht sagen, dass der Teufel überhaupt existiert. Die Abwesenheit des Bösen ist nicht dasselbe wie das Gute.
12. Und dennoch sage ich euch: Ihr seid weder Gott noch Mensch, sondern ein göttliches Wesen (Tier).
13. Ihr sagt: Hier bin ich und hier ist die Natur, da dieses, wie es immer war, zwei verschiedene Dinge sind.
14. Deswegen habt ihr euch von der Natur entfernt; ihr habt die Natur um euch herum so wüst und einsam gemacht wie es eure Herzen sind.
15. In der Natur, die euch umgibt, habt ihr alle möglichen Variationen zerstört, da ihr selbst keine Kraft mehr habt, die Formenvielfalt der Natur zu ertragen; bereinigt die Natur von allem, was düster und undurchsichtig ist, da ihr nicht mehr seht, was in euch ist. Ihr habt Natur verschmutzt, verpestet und verfault gemacht, da schon der Ansatz für eure verpesteten und verfaulten Handlungen in sich selbst verschmutzt, verpestet und verfault war.
16. Ihr habt die Natur zu einem Feind erklärt; in eurer Blindheit seht ihr nicht, dass ihr selbst Teil einer natürlichen Ordnung seid; wer Natur zerstört, zerstört sich selbst.
17. Wer hat euch in den Kopf gesetzt, dass ihr die Herren der Welt seid? Wisst ihr denn nicht, dass die Erde lange bevor euch existierte und noch lange nach euch existieren wird? Ihr seid wie der Idiot, der sich auf eine stark befahrene Kreuzung begab und den ihn belächelnden Fahrern zum Trotz Fahrtrichtungsanweisungen gab, so als ob sie sich danach richten würden, nur weil er es so will.
18. Seht ihr denn nicht, dass ihr nicht mehr seid als das Gewürm der Erde? Oder die Blüte eines Apfelbaums, die schon von einem Windhauch leicht gelöst wird und in der Luft wie eine kleine weiße Wolke schwebt?
19. Ein einziger Windstoß, eine kurze Bewegung der Erde schon kann eure Häuser und Straßen zerstören; eine einzige Welle der Meere kann eure Städte von der Erde spülen; sobald es mehr als gewöhnlich regnet oder schneit, ertrinken eure Besitztümer und eurer Leben wird im Innersten erschüttert. Übermäßige Hitze oder Kälte kann euer Land zerstören und euer Vieh sterben lassen, eure Flüsse und Seen können austrocknen und so auch euren Tod bedeuten.
20. O törichter Mensch! Kannst du nicht begreifen, dass je mehr du die Natur zu besiegen glaubt, du immer seelenloser wirst, wie der Wurm?
21. Eure Erfindungen sind zahllos und wunderbar, sie zeigen euren Scharfsinn. Und doch: Je mehr Erfindungen es gibt, um so kleiner wird ihr tatsächlicher Nutzen. Und je mehr es von ihnen gibt, desto kraftloser werden sie, so als ob die Kraft eures Intellekts in ihnen eingeschlossen wäre. Und so wird aus dem wunderbaren Scharfsinn und dem göttlichen „Können“ nutzloses Spielzeug für Kinder.
22. Ihr habt aus euch selbst Kinder gemacht, die nicht an Morgen denken.
23. Und wie ein Kind, das zu weinen beginnt und Dinge wegtritt, wenn es nicht das bekommt, was es will, so seid ihr: Wenn die Ernte nicht ganz so reichhaltig ist oder die Steuern ein wenig erhöht werden und dadurch eure Bequemlichkeit eingeschränkt wird, dann seid ihr schnell beim Jammern und wollt jemanden zur Verantwortung ziehen. Dann jagt ihr die Politiker eures Landes davon und wählt die, die euch nur Honig ums Maul schmieren. Was also werdet ihr noch tun (können), wenn wirkliche Entbehrung auf euch zukommen und eurer Leben in Gefahr sein wird?
24. Am fähigsten seid ihr, einem Unglück zu begegnen, dass euch bereits zugestoßen ist; und doch habt ihr kaum Fähigkeiten, das Unglück selbst zu meiden.
25. Lebenshilfen gibt es in Hülle und Fülle, doch wie man das Leben selbst lebt, habt ihr vergessen.
26. Ich sage euch: Eure Vorfahren haben möglicherweise größere Entbehrungen erlebt als ihr; und doch war ihr Geist freier und eine größere Gelassenheit herrschte in den Häusern der Menschen.
27. Der, der frei ist, spricht nicht von Freiheit, weil er nicht weiß, was es sein könnte; ihr sprecht andauernd von Freiheit, aber das Wort selbst ist bar jeder Bedeutung und ihr seid in Wirklichkeit Sklaven.
28. Die vielen Reden über Freiheit engen die Freiheit selbst ein; in Wirklichkeit erzittert ihr vor der Freiheit und sucht nach Menschen, dir euch leiten – und ihr sucht nie vergebens.
29. Oh, ihr Toren! Ihr gebt den Menschen grenzenlose Freiheit und wenn ihr erkennen müsst, dass daraus nur Verwirrung erwächst (nicht durch die Freiheit, sondern durch ihre Grenzenlosigkeit), seid ihr bestrebt, die Menschen in grenzenlose Sklaverei zu führen; grenzenlose Freiheit ist auf eine unheimlich Art der Sklaverei gleich.
30. Ihr gebt den Menschen vor, was niedrig und minderwertig ist und ihr zeigt es ihnen in Schrift und Bild, so, dass viele eurer Meinung folgen und ihr eigenes Ich erkennen mögen; doch Jener, der nach dem Guten und damit Gottähnlichen sucht und der sich nicht besudeln will muss sich verstecken und vor sich selbst schämen, als wäre er von der Krätze oder von Läusen befallen. Und doch ist er nur verschieden von der Masse.
31. Wenn jemand den Herrgott verleugnet sagen würde, dass er stolz ist, dass in ihm kein göttlicher Teil ist, weil er „nur“ Mensch ist, so sage ich euch, dass dieser Jemand nicht mal wert ist, ein Mensch zu sein.
32. Denn ohne Gott ist der Mensch ein Nichts.
33. Der Mensch hat keine Demut mehr und doch ist Demut – wie auch die Dunkelheit – eine Möglichkeit, das heilige Licht des Himmels zu sehen.
34. Ihr habt die Wissenschaften erfunden, weil ihr euch nicht länger zu glauben getraut. Das bedeutet, dass ihr nicht länger die Wirklichkeit eines Beweises glaubt, der nicht belegt werden kann. Deswegen glaubt ihr an das Idol der Wissenschaft als Gottesersatz.
35. Ihr sagt von euch selbst, dass ihr aufgeklärt („enlighted“ wortwörtlich auch „erleuchtet“) seid. Dennoch lebt ihr in Dunkelheit, weil euer Licht nur das schwache Licht der Erde ist.
36. Wahrlich sage ich euch: Euer Licht kann jeden Augenblick erlöschen, doch mein Licht wird ewig leuchten.
37. So viel hatte der HERR gesagt, doch sie hörten ihn nicht. Dann entfesselte der Herr vielfaches Leid, dass er den Menschen sandte und in schrecklichen Feuersbrünsten und Fluten fanden viele den Tod.
38. Dennoch: Als die heilige Zerstörung beendet war, blieb die Menschheit.
39. Die, die blieben, hatten nichts und sie lagen unter dem bloßen Himmel bei den Ruinen und bejammerten den Tod ihrer Lieben. Und doch fühlten sie sich reiner als bisher.
40. Jetzt, wo sie dem Untergang geweiht waren, erkannten sie, dass sie alle Brüder und deswegen nicht allein waren.
41. Menschen, die sie vorher voneinander abgewendet hätte, wenn sie sich auf der Straße begegnet wären, grüßten sich nun aus vollem Herzen und sprachen bereitwillig miteinander, da sie nun wussten, dass Menschen sich nicht feindlich gesonnen sein sollten.
42. Sie sprachen nicht länger berechnend miteinander, wie sie es vorher getan hatten um einander Falles zu stellen; sonder sie sprachen miteinander so, wie es ihnen ihr Herz vorgab; und sie waren freundlich zueinander.
43. Und die Menschen erfreuten sich an ihrem Gegenüber und sie waren glücklich, wenn dieser anders war, denn im Anderssein war er ihnen gleich. Und so öffneten sie ihre Herzen.
44. Und sie akzeptierten die andere Person als ihn selbst und lernten so auch besser über sich selbst Bescheid.
45. Ihre Gedanken sind nicht ihr Eigentum, sondern nur Teil dessen, was alle Menschen denken – so wurde die Seele der Menschen frei und schreckte nicht vor den anderen zurück.
46. So, wie vor der Zerstörung jeder für sich selbst lebte, waren nach der Zerstörung alle Herzen eins.
47. Die Häuser, Straßen, Brücken und Hochhäuser waren zerstört worden und gemeinsam mit ihnen hatten sich auch die Staaten, Parteien, Firmen, Organisationen, Gremien und Institutionen aufgelöst, die nicht zuletzt die Mitmenschlichkeit zerstört hatten. Und die Menschen kamen einander wieder näher, nicht nur körperlich (das es zwischen ihnen nun keine Mauern mehr gab, sondern nur noch die reinen Körper, die ihnen die Natur gegeben hatte), sondern auch im Geiste: Denn die Mauern, die die Menschen in Gestein aufgebaut hatten, existierte längst auch in ihren Köpfen. Und jetzt gab es nichts mehr, was die Menschen trennte.
48. Und das Leben des Menschen wurde abermals einfach.
(Aus der alt-englischen Version dankenswerterweise übersetzt von Steffi Eckold.)
Dieser Text ist von Miklós Dolinszky extra für die CD „Byzantinum“ (Gábor Gadó) geschrieben worden und der CD (BMC CD 137) beigelegt.
Zurück zu Jazz+Sonstiges.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen