
Die CD enthält keinen „Jazz“, sondern Kompositionen von Ziporyn selbst sowie von David Lang und Michael Tenzer. Auch nach dem dritten Hören fragt man sich fassungslos: Das soll von einem einzigen Klarinettisten ohne Overdubs oder Zuspiel-Elektronik gespielt sein? – Ist es aber! Unglaublich!
Mehrere Stücke sind extra für Klarinette bzw. Bassklarinette geschrieben, das frappierendste „Press Release“ (kein Verweis auf eine „Pressemitteilung“, sondern auf die raffinierte Spieltechnik, „drücken“ und „rauslassen“), bei der Ziporyn die – an James Brown angelehnte – Bassmelodie durch das Drücken der Klappen und gleichzeitig die Leitmelodie durch das Öffnen der Klappen erzeugt. Der Komponist David Lang macht seine Liebe zum Soul-King James Brown zum Quell seiner Inspiration, er beschreibt sein Stück als einen „Versuch, jenen Platz zu finden, auf dem sich James Brown und Johann Sebastian Bach treffen.“ Natürlich klingt das Ganze weder nach Brown noch nach Bach, sondern völlig zeitgenössisch eigenwertig.
Andere Stücke sind von anderen Einflüssen inspiriert – so Tenzers „Krk-y“ vom volksmusikantischen Duo-Gesang, wie er einst auf der kroatischen Insel Krk gepflegt wurde, „Biak-words“ (einer weiteren Insel gewidmet) von indonesischer Musik und das nach der völlig einsam zwischen Feuerland und Kapstadt gelegenen Insel Bouvet benannte Stück „Bouvet Fanfare“ möglicherweise von verloren wirkenden Schiffsirenen.
Eine ganze Reihe Ziporyns eigener Kompositionen lassen dessen Affiniät zu außereuropäischer und -amerikanischer Musik erkennen. Die vier Stücke des Zyklus’ „Four Impersonations“ beziehen sich auf Japanisches, Balinesisches und Afrikanisches.
Verwunderlich ist das nicht, ist doch Evan Ziporyn Gründer und künstlerischer Chef des Gamelan Galak Tika, einer in Boston angesiedelten balinesischen Musik- und Tanztruppe, die weltweit für ihre bahnbrechende Fusion aus Gamelan- und westlicher Musik sowie für ihr Engagement für neue Werke amerikanischer und balinesischer Komponisten bekannt ist. In Deutschland könnte sich Ziporyn als Mitglied der Bang On A Can All-Stars einen Namen gemacht haben; in diesem Ensemble spielt er seit 1992, „Ostmusikfans“ haben ihn auf Iva Bittovás „Elida“ gehört. Doch sein „This Is Not A Clarinet“ ist etwas ganz Besonderes!

Spieltechnisch brillant setzt Gianni Gebbia die Charaktere der jeweiligen Persönlichkeiten, so wie er sie sich vorstellt, in teils fragmentierte, teils lang ausgebaute Melodielinien um, nutzt Überblastechnik, Zirkularatmung und Zweistimmigkeit, um Klänge zu gestalten, Spannungsbögen zu bauen und Reibungen zu schaffen. Mal werden kinderliedartige melodische Floskeln variiert, mal wird ein Thema entwickelt und ausgebaut, mal wird lediglich ein klingendes „Icon“, ein Klangzeichen entwickelt – stets verfährt Gebbia nach dem – ins Klingende übertragene – Prinzip „Zeichnen heißt Weglassen“. Es geht ihm nicht um rasante, freejazz-ähnliche, klanggewordene Gefühlsausbrüche, sondern um ein paar „klingende Pinselstriche“, mit denen er die Porträts andeutet.

Mathias Bäumel
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