Freitag, 20. November 2009

Ziporyn - Gebbia - Gebbia: Musiken für Klarinette und Saxofon solo

Das soll neu sein? Sämtliche drei CDs mit Klarinetten- bzw. Saxofon-Solomusik wurden schon vor einiger Zeit veröffentlicht – aber warum sollte man stets nur auf Brandaktuelles reagieren, wenn man doch im CD-Regal immer wieder auch auf Faszinierendes aus der (jüngeren) Vergangenheit stößt?

Zum Beispiel auf Evan Ziporyns CD „This Is Not A Clarinet“ (Cantaloupe Records 2002) – ein tiefgründiges, ästhetisch klares sowie technisch bewundernswertes Meisterstück des Klarinetten-Solos.

Die CD enthält keinen „Jazz“, sondern Kompositionen von Ziporyn selbst sowie von David Lang und Michael Tenzer. Auch nach dem dritten Hören fragt man sich fassungslos: Das soll von einem einzigen Klarinettisten ohne Overdubs oder Zuspiel-Elektronik gespielt sein? – Ist es aber! Unglaublich!

Mehrere Stücke sind extra für Klarinette bzw. Bassklarinette geschrieben, das frappierendste „Press Release“ (kein Verweis auf eine „Pressemitteilung“, sondern auf die raffinierte Spieltechnik, „drücken“ und „rauslassen“), bei der Ziporyn die – an James Brown angelehnte – Bassmelodie durch das Drücken der Klappen und gleichzeitig die Leitmelodie durch das Öffnen der Klappen erzeugt. Der Komponist David Lang macht seine Liebe zum Soul-King James Brown zum Quell seiner Inspiration, er beschreibt sein Stück als einen „Versuch, jenen Platz zu finden, auf dem sich James Brown und Johann Sebastian Bach treffen.“ Natürlich klingt das Ganze weder nach Brown noch nach Bach, sondern völlig zeitgenössisch eigenwertig.

Andere Stücke sind von anderen Einflüssen inspiriert – so Tenzers „Krk-y“ vom volksmusikantischen Duo-Gesang, wie er einst auf der kroatischen Insel Krk gepflegt wurde, „Biak-words“ (einer weiteren Insel gewidmet) von indonesischer Musik und das nach der völlig einsam zwischen Feuerland und Kapstadt gelegenen Insel Bouvet benannte Stück „Bouvet Fanfare“ möglicherweise von verloren wirkenden Schiffsirenen.
Eine ganze Reihe Ziporyns eigener Kompositionen lassen dessen Affiniät zu außereuropäischer und -amerikanischer Musik erkennen. Die vier Stücke des Zyklus’ „Four Impersonations“ beziehen sich auf Japanisches, Balinesisches und Afrikanisches.

Verwunderlich ist das nicht, ist doch Evan Ziporyn Gründer und künstlerischer Chef des Gamelan Galak Tika, einer in Boston angesiedelten balinesischen Musik- und Tanztruppe, die weltweit für ihre bahnbrechende Fusion aus Gamelan- und westlicher Musik sowie für ihr Engagement für neue Werke amerikanischer und balinesischer Komponisten bekannt ist. In Deutschland könnte sich Ziporyn als Mitglied der Bang On A Can All-Stars einen Namen gemacht haben; in diesem Ensemble spielt er seit 1992, „Ostmusikfans“ haben ihn auf Iva Bittovás „Elida“ gehört. Doch sein „This Is Not A Clarinet“ ist etwas ganz Besonderes!

Und etwas Besonderes ist auch die CD „H Portraits“ (Rastascan Records 1998) von Gianni Gebbia, die reine Improvisationen zu historischen Persönlichkeiten enthält, deren Namen mit dem Buchstaben „H“ beginnen – Wissenschaftler und Künstler von den Physikern Helmholtz und Heisenberg über die Musiker Heifetz und Hemphill bis zu den japanischen Holzschnittmeistern und Malern Hiroshige und Hokusai.
Spieltechnisch brillant setzt Gianni Gebbia die Charaktere der jeweiligen Persönlichkeiten, so wie er sie sich vorstellt, in teils fragmentierte, teils lang ausgebaute Melodielinien um, nutzt Überblastechnik, Zirkularatmung und Zweistimmigkeit, um Klänge zu gestalten, Spannungsbögen zu bauen und Reibungen zu schaffen. Mal werden kinderliedartige melodische Floskeln variiert, mal wird ein Thema entwickelt und ausgebaut, mal wird lediglich ein klingendes „Icon“, ein Klangzeichen entwickelt – stets verfährt Gebbia nach dem – ins Klingende übertragene – Prinzip „Zeichnen heißt Weglassen“. Es geht ihm nicht um rasante, freejazz-ähnliche, klanggewordene Gefühlsausbrüche, sondern um ein paar „klingende Pinselstriche“, mit denen er die Porträts andeutet.

Mit „Arcana Major/Sonic Tarots Session“ (Rastascan Records 2001) widmet sich Gianni Gebbia klingend dem Kartenlegen als einer Form der Wahrsagerei. Dabei nutzt er die 22 Karten des Großen Arkana als Struktur seiner 22-teiligen Solo-Improvisation. Und dies tut er nicht ohne Humor. Jede der 22 Karten wird durch ein kurzes, bis maximal reichlich fünf Minuten langes Stück Altsax- oder Sopransax-Solo repräsentiert. „Um mit Hilfe der klingenden Karten Antworten auf die Frage zu bekommen, was die Zukunft für einen bringen mag, muss man nur 1) eine Frage stellen und 2) die Zufallswiedergabefunktion des CD-Players einstellen, um schließlich 3) mit der sich so ergebenden Musik die Antwort auf die Frage zu bekommen“, erklärt Gebbia im Klappentext die Handhabung seiner „Wahrsager“-Musik. – Zum Schmunzeln! Vor allem aber zum Hören – die Musik, auch durch den Zufall immer neu angeordnet, ist exzellent.

Mathias Bäumel
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