Diese CD ist ein einmaliges Ereignis. Vergangenheit und Gegenwart, versunkene jiddische Kultur und modernes französisches Musikleben, russische Seele und stalinistische Unmenschlichkeit – alles ist darin musikalisch exzellent und emotional tiefgehend erhalten.
Im Jahre 1975 hatte die aus Moldawien stammende, damals 56-jährige Dina Vierny, im Alter von 15 Jahren letztes Modell und Muse des berühmten Bildhauers Aristide Maillol, eine Sammlung von aktuellen Liedern der sibirischen Gulag-Gefangenen veröffentlicht; die auf dem französischen Label Pathé Marconi erschienene LP »Chants Des Prisonniers Sibériens D'Aujourd'hui« (2C 068-96179) ist längst vergriffen und nach meiner Kenntnis nie als CD erschienen.
Die junge, 1984 (!) in Paris geborene Newcomer-Sängerin Noëmi Waysfeld, deren Eltern russischer, baltischer und polnischer Herkunft sind, erarbeitete sich das Repertoire dieser alten Vinylplatte für ihre erste eigene CD und für ihr Konzertprogramm »Kalyma« neu. Ergänzend fügte sie jiddische Lieder hinzu, die von ähnlich tragischen Erfahrungen erzählen: von Misere, Schmerz, Gefängnis und Nostalgie, aber auch von Hoffnung, Frieden und Freiheit. Die Waysfeld hat auf diese Weise ein Songprogramm entwickelt, das weit entfernt von den seit zwanzig Jahren modischen Klezmer-Klischees ist und kaum etwas mit den Experimenten der New Yorker John-Zorn-Tzadik-Szene zu tun hat (Ausnahme: David Krakauer spielt als Gast auf der CD mit).
Die Waysfeld vereint, wie Stefan Franzen treffend schreibt, »Jazzattitüde mit Shtetl-Hinterhof, Orientalismen und Mediterranes mit dem Blues der sibrischen Steppen«. Mit ihrer ausdrucksstarken, samtigen Stimme transportiert sie sehr berührend die Wehmut der Musik, deren gelegentliche Chansonhaftigkeit ebenso wie eine manchmal aufblitzende bittere Lustigkeit. Die Musikanten ihrer Band Blik scheinen Allroundkönner zu sein. Akkordeonist Thierry Bretonnet ist offenbar ein »Hans Dampf in allen Gassen«, was Folklore aus vielen Richtungen der Welt angeht, er erzeugt rasante Melodiekaskaden ebenso wie sanft hauchige Tontupfer. Ein weites Spektrum an Klängen und Melodien zaubert der an klassischer Gitarre trainierte Florent Labodinière, der mit einfühlsamen Begleit- und Solo-Passagen auch auf der Bouzouki und der arabischen Oud zu faszinieren weiß. Und Antoine Rozenbaum schafft ein bewegliches Bassfundament, das ziemlich jazzbeeinflusst wirkt.
Alles in allem: eine Musik mit Bedeutung, ein Muss für Zu-Hörer.
Mathias Bäumel
Mittwoch, 26. September 2012
Johanna Elina: »Our Garden«, Divine Records 2012
Besonders die Melodien machen es! Etwas wehmütig, auch nachdenklich wirkend, durchaus eingängig und mit Mitsumm-Qualität, nie aber plump oder gar aufdringlich, erinnern sie manchmal an die Melodik eines Helge Lien (z. B. der Titelsong) oder die von Songs Patricia Barbers (besonders »First Time Love«).
Die in Dänemark lebende Finnin Johanna Elina fasziniert mit ihrem zeitgenössischen »Indie-Vocal-Jazz«, der einen Touch eleganter Popmusik mitbekommen hat. Johanna schreibt ihre eigene Musik – und genau das macht sie stark – und fängt mit ihr verquere, liebevolle, aufregende, traurige und manchmal sogar quälende Emotionen aus dem Alltagsleben ein.
Das ginge nicht ohne ihre warme, betörende, relativ tiefe Stimme, die sie auch technisch exzellent einsetzt.
Und das ginge natürlich auch nicht ohne Johannas Musikanten-Team, das in jeder Hinsicht überzeugt. Die Musiker aus der Multi-Kulti-Truppe kommen aus Schweden, Norwegen, Dänemark und Italien; der Klang der Band ist sehr homogen und nuanciert, die Soli sehr differenziert und äußerst gestaltungsstark.
Jazzlieder, wie sie sein sollen.
Mathias Bäumel
Die in Dänemark lebende Finnin Johanna Elina fasziniert mit ihrem zeitgenössischen »Indie-Vocal-Jazz«, der einen Touch eleganter Popmusik mitbekommen hat. Johanna schreibt ihre eigene Musik – und genau das macht sie stark – und fängt mit ihr verquere, liebevolle, aufregende, traurige und manchmal sogar quälende Emotionen aus dem Alltagsleben ein.
Das ginge nicht ohne ihre warme, betörende, relativ tiefe Stimme, die sie auch technisch exzellent einsetzt.
Und das ginge natürlich auch nicht ohne Johannas Musikanten-Team, das in jeder Hinsicht überzeugt. Die Musiker aus der Multi-Kulti-Truppe kommen aus Schweden, Norwegen, Dänemark und Italien; der Klang der Band ist sehr homogen und nuanciert, die Soli sehr differenziert und äußerst gestaltungsstark.
Jazzlieder, wie sie sein sollen.
Mathias Bäumel
Nils Weinhold: »Shapes«, Selbstverlag 2012 (Bezug: Amazon, CDBaby)
Melodisch schillernd und vielfältig, kompositorisch dicht »gestrickt« und solistisch exzellent – so präsentiert sich das Erstlings-Album »Shapes« des jungen Komponisten und Gitarristen Nils Weinhold.
Geschult im Bundesjazzorchester (BuJazzO) unter Peter Herbolzheimer von 2005 bis 2007, sammelte Nils eine Menge Erfahrung in Holland (offenbar prägend der faszinierende Gitarrist Jesse van Ruller!) und in den USA, wo er seit einigen Jahren überwiegend lebt und 2010 an der Manhattan School of Music nach Studien bei Phil Markowitz (der vier Jahre in Chet Bakers Gruppe spielte), Dave Liebman, Chris Rosenberg und weiteren seinen Master Degree erhielt.
Als Sideman mit allen Wassern gewaschen (er spielte für Seamus Blake, Joe Lovano, Joey Calderazzo, Jane Monheit und vielen, vielen weiteren) zeigt Weinhold nun mit »Shapes« erstmals als »Chef«, wie sich seine eigene Musik anhört.
Beispielhaft dafür könnte die Komposition »Forgotten Plains« stehen. Exzellente motivische Entwicklungen (anfangs getragen von den Saxofon-Linien Adam Larsons), zunächst etwas europäisch-melancholisch wirkend, eröffnen weite Gefilde für melodische Improvisationen vor allem für Gitarre und Saxofon, die sich später dann ins Jubilierend-Euphorische, »ami-haft« Klingende entwickeln, um schließlich ins Nachdenkliche zurückzukehren. Strukturell erinnert mich manches an frühere Musik Tim Bernes, motivisch schimmert eine Art Unplugged-Fusion-Musik auf, gitarristisch leuchtet Jesse van Ruller und die Ästhetik des Labels Criss Cross auf.
Für Hörer, die Substanz statt Mode, die Detailqualität statt große Geste mögen, ist diese CD eine Top-Empfehlung.
Mathias Bäumel
Geschult im Bundesjazzorchester (BuJazzO) unter Peter Herbolzheimer von 2005 bis 2007, sammelte Nils eine Menge Erfahrung in Holland (offenbar prägend der faszinierende Gitarrist Jesse van Ruller!) und in den USA, wo er seit einigen Jahren überwiegend lebt und 2010 an der Manhattan School of Music nach Studien bei Phil Markowitz (der vier Jahre in Chet Bakers Gruppe spielte), Dave Liebman, Chris Rosenberg und weiteren seinen Master Degree erhielt.
Als Sideman mit allen Wassern gewaschen (er spielte für Seamus Blake, Joe Lovano, Joey Calderazzo, Jane Monheit und vielen, vielen weiteren) zeigt Weinhold nun mit »Shapes« erstmals als »Chef«, wie sich seine eigene Musik anhört.
Beispielhaft dafür könnte die Komposition »Forgotten Plains« stehen. Exzellente motivische Entwicklungen (anfangs getragen von den Saxofon-Linien Adam Larsons), zunächst etwas europäisch-melancholisch wirkend, eröffnen weite Gefilde für melodische Improvisationen vor allem für Gitarre und Saxofon, die sich später dann ins Jubilierend-Euphorische, »ami-haft« Klingende entwickeln, um schließlich ins Nachdenkliche zurückzukehren. Strukturell erinnert mich manches an frühere Musik Tim Bernes, motivisch schimmert eine Art Unplugged-Fusion-Musik auf, gitarristisch leuchtet Jesse van Ruller und die Ästhetik des Labels Criss Cross auf.
Für Hörer, die Substanz statt Mode, die Detailqualität statt große Geste mögen, ist diese CD eine Top-Empfehlung.
Mathias Bäumel
Mittwoch, 14. April 2010
Elina Duni Quartet: „Lume Lume“ (Meta Records)
Das zweite Album der noch jungen, 1981 in Tirana geborenen Sängerin Elina Duni hat es in sich, überzeugt noch mehr als der ohnehin schon fast „kultige“ Erstling. Elina singt Lieder vom Balkan, aus Albanien, Griechenland, Rumänien und Lieder der Zigeuner – und sie macht aus diesen Songs fantastischen, abenteuerlichen, stimmungsvoll magischen und rhythmisch faszinierenden Jazz! Mit ihren renommierten Begleitern aus der Schweiz, dem Pianisten Colin Vallon, dem Bassisten Bänz Oester und dem Schlagzeuger Norbert Pfammatter, gelingt ihr etwas, was trotz vieler Crossovers sehr selten ist: die Verschmelzung verschiedener Musikkulturen zu einem Klangkunstwerk, das wie aus einem Guss wirkt.
Besonders erwähnenswert und programmatisch zum CD-Titel gekürt ist die Einspielung des Balkan-Kulthits „Lume Lume“, eines Songs, der wie kaum ein zweiter das verdeutlicht, was „Balkan-Blues“ bedeuten kann.
Das aus Rumänien stammende Trinklied treibt einem - fast egal, in welcher Einspielung - unweigerlich die Tränen in die Augen. Ob von der großen Maria Tănase, den Bulgarian Voices Angelite, der Schweizer Akkordeonistin Nabila Schwab oder Maria Buza mit ihren Taraful Ciuleandra gesungen, ob von der Balkanswingband Sultan, dem disko-synthi-wilden Clejani Express (einem vom Ionitsa Manole und dessen Frau Viorica gegründeten Taraf de Haidouks-Ableger) oder den berühmten Fanfare Ciocarlia eingespielt – stets geht es um eine kraftvoll hervorbrechende, schwermütige Tieftraurigkeit.
Welt, Welt, Schwester Welt,
wann werde ich genug von dir haben?
Wann werde ich den Löffel aus der Hand legen,
wann wird meine Uhr abgelaufen sein?
Vielleicht werde ich dann genug von dir haben,
wenn sie die Nägel in meinen Sarg hämmern.
Wenn sie mich in mein Grab legen
Und ich nicht mehr auf Erden sein werde,
Welt, Welt, Schwester Welt.
So ist nun mal die Welt, flüchtig.
Einer wird geboren, der andere stirbt.
Der Geborene leidet,
der Gestorbene verrottet,
Welt, Welt, Schwester Welt.
Elina Duni macht daraus mit ihrer Jazz-Begleitung ein zurückhaltendes, jenseitiges Kunstlied mit sanften Verzierungen und einem edel-melancholischen Piano-Part. Die Duni’sche „Schwester Welt“ klingt wie die ferne Erinnerung an etwas, was einmal war, das man aber nicht mehr recht greifen kann.
So scheint es nur konsequent, dass das i-Tüpfelchen und der Abschluss der CD eine Interpretation von Nick Drakes „Riverman“ ist. Ein Song, der mit weltentrücktem Blick und beklemmend einfachen Worten die vagen Umrisse eines Lebens beschreibt, das vielleicht schon gar nicht mehr existiert. Es ist der einzige nicht-balkanische Song auf der CD, zu guter Letzt. Nick Drake starb am 25. November 1974 im Alter von 26 Jahren an einer Überdosis Antidepressiva.
Elina macht, hoffentlich, weiter.
Mathias Bäumel
Besonders erwähnenswert und programmatisch zum CD-Titel gekürt ist die Einspielung des Balkan-Kulthits „Lume Lume“, eines Songs, der wie kaum ein zweiter das verdeutlicht, was „Balkan-Blues“ bedeuten kann.
Das aus Rumänien stammende Trinklied treibt einem - fast egal, in welcher Einspielung - unweigerlich die Tränen in die Augen. Ob von der großen Maria Tănase, den Bulgarian Voices Angelite, der Schweizer Akkordeonistin Nabila Schwab oder Maria Buza mit ihren Taraful Ciuleandra gesungen, ob von der Balkanswingband Sultan, dem disko-synthi-wilden Clejani Express (einem vom Ionitsa Manole und dessen Frau Viorica gegründeten Taraf de Haidouks-Ableger) oder den berühmten Fanfare Ciocarlia eingespielt – stets geht es um eine kraftvoll hervorbrechende, schwermütige Tieftraurigkeit.
Welt, Welt, Schwester Welt,
wann werde ich genug von dir haben?
Wann werde ich den Löffel aus der Hand legen,
wann wird meine Uhr abgelaufen sein?
Vielleicht werde ich dann genug von dir haben,
wenn sie die Nägel in meinen Sarg hämmern.
Wenn sie mich in mein Grab legen
Und ich nicht mehr auf Erden sein werde,
Welt, Welt, Schwester Welt.
So ist nun mal die Welt, flüchtig.
Einer wird geboren, der andere stirbt.
Der Geborene leidet,
der Gestorbene verrottet,
Welt, Welt, Schwester Welt.
Elina Duni macht daraus mit ihrer Jazz-Begleitung ein zurückhaltendes, jenseitiges Kunstlied mit sanften Verzierungen und einem edel-melancholischen Piano-Part. Die Duni’sche „Schwester Welt“ klingt wie die ferne Erinnerung an etwas, was einmal war, das man aber nicht mehr recht greifen kann.
So scheint es nur konsequent, dass das i-Tüpfelchen und der Abschluss der CD eine Interpretation von Nick Drakes „Riverman“ ist. Ein Song, der mit weltentrücktem Blick und beklemmend einfachen Worten die vagen Umrisse eines Lebens beschreibt, das vielleicht schon gar nicht mehr existiert. Es ist der einzige nicht-balkanische Song auf der CD, zu guter Letzt. Nick Drake starb am 25. November 1974 im Alter von 26 Jahren an einer Überdosis Antidepressiva.
Elina macht, hoffentlich, weiter.
Mathias Bäumel
Freitag, 20. November 2009
Ziporyn - Gebbia - Gebbia: Musiken für Klarinette und Saxofon solo
Das soll neu sein? Sämtliche drei CDs mit Klarinetten- bzw. Saxofon-Solomusik wurden schon vor einiger Zeit veröffentlicht – aber warum sollte man stets nur auf Brandaktuelles reagieren, wenn man doch im CD-Regal immer wieder auch auf Faszinierendes aus der (jüngeren) Vergangenheit stößt?
Zum Beispiel auf Evan Ziporyns CD „This Is Not A Clarinet“ (Cantaloupe Records 2002) – ein tiefgründiges, ästhetisch klares sowie technisch bewundernswertes Meisterstück des Klarinetten-Solos.
Die CD enthält keinen „Jazz“, sondern Kompositionen von Ziporyn selbst sowie von David Lang und Michael Tenzer. Auch nach dem dritten Hören fragt man sich fassungslos: Das soll von einem einzigen Klarinettisten ohne Overdubs oder Zuspiel-Elektronik gespielt sein? – Ist es aber! Unglaublich!
Mehrere Stücke sind extra für Klarinette bzw. Bassklarinette geschrieben, das frappierendste „Press Release“ (kein Verweis auf eine „Pressemitteilung“, sondern auf die raffinierte Spieltechnik, „drücken“ und „rauslassen“), bei der Ziporyn die – an James Brown angelehnte – Bassmelodie durch das Drücken der Klappen und gleichzeitig die Leitmelodie durch das Öffnen der Klappen erzeugt. Der Komponist David Lang macht seine Liebe zum Soul-King James Brown zum Quell seiner Inspiration, er beschreibt sein Stück als einen „Versuch, jenen Platz zu finden, auf dem sich James Brown und Johann Sebastian Bach treffen.“ Natürlich klingt das Ganze weder nach Brown noch nach Bach, sondern völlig zeitgenössisch eigenwertig.
Andere Stücke sind von anderen Einflüssen inspiriert – so Tenzers „Krk-y“ vom volksmusikantischen Duo-Gesang, wie er einst auf der kroatischen Insel Krk gepflegt wurde, „Biak-words“ (einer weiteren Insel gewidmet) von indonesischer Musik und das nach der völlig einsam zwischen Feuerland und Kapstadt gelegenen Insel Bouvet benannte Stück „Bouvet Fanfare“ möglicherweise von verloren wirkenden Schiffsirenen.
Eine ganze Reihe Ziporyns eigener Kompositionen lassen dessen Affiniät zu außereuropäischer und -amerikanischer Musik erkennen. Die vier Stücke des Zyklus’ „Four Impersonations“ beziehen sich auf Japanisches, Balinesisches und Afrikanisches.
Verwunderlich ist das nicht, ist doch Evan Ziporyn Gründer und künstlerischer Chef des Gamelan Galak Tika, einer in Boston angesiedelten balinesischen Musik- und Tanztruppe, die weltweit für ihre bahnbrechende Fusion aus Gamelan- und westlicher Musik sowie für ihr Engagement für neue Werke amerikanischer und balinesischer Komponisten bekannt ist. In Deutschland könnte sich Ziporyn als Mitglied der Bang On A Can All-Stars einen Namen gemacht haben; in diesem Ensemble spielt er seit 1992, „Ostmusikfans“ haben ihn auf Iva Bittovás „Elida“ gehört. Doch sein „This Is Not A Clarinet“ ist etwas ganz Besonderes!
Und etwas Besonderes ist auch die CD „H Portraits“ (Rastascan Records 1998) von Gianni Gebbia, die reine Improvisationen zu historischen Persönlichkeiten enthält, deren Namen mit dem Buchstaben „H“ beginnen – Wissenschaftler und Künstler von den Physikern Helmholtz und Heisenberg über die Musiker Heifetz und Hemphill bis zu den japanischen Holzschnittmeistern und Malern Hiroshige und Hokusai.
Spieltechnisch brillant setzt Gianni Gebbia die Charaktere der jeweiligen Persönlichkeiten, so wie er sie sich vorstellt, in teils fragmentierte, teils lang ausgebaute Melodielinien um, nutzt Überblastechnik, Zirkularatmung und Zweistimmigkeit, um Klänge zu gestalten, Spannungsbögen zu bauen und Reibungen zu schaffen. Mal werden kinderliedartige melodische Floskeln variiert, mal wird ein Thema entwickelt und ausgebaut, mal wird lediglich ein klingendes „Icon“, ein Klangzeichen entwickelt – stets verfährt Gebbia nach dem – ins Klingende übertragene – Prinzip „Zeichnen heißt Weglassen“. Es geht ihm nicht um rasante, freejazz-ähnliche, klanggewordene Gefühlsausbrüche, sondern um ein paar „klingende Pinselstriche“, mit denen er die Porträts andeutet.
Mit „Arcana Major/Sonic Tarots Session“ (Rastascan Records 2001) widmet sich Gianni Gebbia klingend dem Kartenlegen als einer Form der Wahrsagerei. Dabei nutzt er die 22 Karten des Großen Arkana als Struktur seiner 22-teiligen Solo-Improvisation. Und dies tut er nicht ohne Humor. Jede der 22 Karten wird durch ein kurzes, bis maximal reichlich fünf Minuten langes Stück Altsax- oder Sopransax-Solo repräsentiert. „Um mit Hilfe der klingenden Karten Antworten auf die Frage zu bekommen, was die Zukunft für einen bringen mag, muss man nur 1) eine Frage stellen und 2) die Zufallswiedergabefunktion des CD-Players einstellen, um schließlich 3) mit der sich so ergebenden Musik die Antwort auf die Frage zu bekommen“, erklärt Gebbia im Klappentext die Handhabung seiner „Wahrsager“-Musik. – Zum Schmunzeln! Vor allem aber zum Hören – die Musik, auch durch den Zufall immer neu angeordnet, ist exzellent.
Mathias Bäumel
(zurück)
Zum Beispiel auf Evan Ziporyns CD „This Is Not A Clarinet“ (Cantaloupe Records 2002) – ein tiefgründiges, ästhetisch klares sowie technisch bewundernswertes Meisterstück des Klarinetten-Solos.
Die CD enthält keinen „Jazz“, sondern Kompositionen von Ziporyn selbst sowie von David Lang und Michael Tenzer. Auch nach dem dritten Hören fragt man sich fassungslos: Das soll von einem einzigen Klarinettisten ohne Overdubs oder Zuspiel-Elektronik gespielt sein? – Ist es aber! Unglaublich!
Mehrere Stücke sind extra für Klarinette bzw. Bassklarinette geschrieben, das frappierendste „Press Release“ (kein Verweis auf eine „Pressemitteilung“, sondern auf die raffinierte Spieltechnik, „drücken“ und „rauslassen“), bei der Ziporyn die – an James Brown angelehnte – Bassmelodie durch das Drücken der Klappen und gleichzeitig die Leitmelodie durch das Öffnen der Klappen erzeugt. Der Komponist David Lang macht seine Liebe zum Soul-King James Brown zum Quell seiner Inspiration, er beschreibt sein Stück als einen „Versuch, jenen Platz zu finden, auf dem sich James Brown und Johann Sebastian Bach treffen.“ Natürlich klingt das Ganze weder nach Brown noch nach Bach, sondern völlig zeitgenössisch eigenwertig.
Andere Stücke sind von anderen Einflüssen inspiriert – so Tenzers „Krk-y“ vom volksmusikantischen Duo-Gesang, wie er einst auf der kroatischen Insel Krk gepflegt wurde, „Biak-words“ (einer weiteren Insel gewidmet) von indonesischer Musik und das nach der völlig einsam zwischen Feuerland und Kapstadt gelegenen Insel Bouvet benannte Stück „Bouvet Fanfare“ möglicherweise von verloren wirkenden Schiffsirenen.
Eine ganze Reihe Ziporyns eigener Kompositionen lassen dessen Affiniät zu außereuropäischer und -amerikanischer Musik erkennen. Die vier Stücke des Zyklus’ „Four Impersonations“ beziehen sich auf Japanisches, Balinesisches und Afrikanisches.
Verwunderlich ist das nicht, ist doch Evan Ziporyn Gründer und künstlerischer Chef des Gamelan Galak Tika, einer in Boston angesiedelten balinesischen Musik- und Tanztruppe, die weltweit für ihre bahnbrechende Fusion aus Gamelan- und westlicher Musik sowie für ihr Engagement für neue Werke amerikanischer und balinesischer Komponisten bekannt ist. In Deutschland könnte sich Ziporyn als Mitglied der Bang On A Can All-Stars einen Namen gemacht haben; in diesem Ensemble spielt er seit 1992, „Ostmusikfans“ haben ihn auf Iva Bittovás „Elida“ gehört. Doch sein „This Is Not A Clarinet“ ist etwas ganz Besonderes!
Und etwas Besonderes ist auch die CD „H Portraits“ (Rastascan Records 1998) von Gianni Gebbia, die reine Improvisationen zu historischen Persönlichkeiten enthält, deren Namen mit dem Buchstaben „H“ beginnen – Wissenschaftler und Künstler von den Physikern Helmholtz und Heisenberg über die Musiker Heifetz und Hemphill bis zu den japanischen Holzschnittmeistern und Malern Hiroshige und Hokusai.
Spieltechnisch brillant setzt Gianni Gebbia die Charaktere der jeweiligen Persönlichkeiten, so wie er sie sich vorstellt, in teils fragmentierte, teils lang ausgebaute Melodielinien um, nutzt Überblastechnik, Zirkularatmung und Zweistimmigkeit, um Klänge zu gestalten, Spannungsbögen zu bauen und Reibungen zu schaffen. Mal werden kinderliedartige melodische Floskeln variiert, mal wird ein Thema entwickelt und ausgebaut, mal wird lediglich ein klingendes „Icon“, ein Klangzeichen entwickelt – stets verfährt Gebbia nach dem – ins Klingende übertragene – Prinzip „Zeichnen heißt Weglassen“. Es geht ihm nicht um rasante, freejazz-ähnliche, klanggewordene Gefühlsausbrüche, sondern um ein paar „klingende Pinselstriche“, mit denen er die Porträts andeutet.
Mit „Arcana Major/Sonic Tarots Session“ (Rastascan Records 2001) widmet sich Gianni Gebbia klingend dem Kartenlegen als einer Form der Wahrsagerei. Dabei nutzt er die 22 Karten des Großen Arkana als Struktur seiner 22-teiligen Solo-Improvisation. Und dies tut er nicht ohne Humor. Jede der 22 Karten wird durch ein kurzes, bis maximal reichlich fünf Minuten langes Stück Altsax- oder Sopransax-Solo repräsentiert. „Um mit Hilfe der klingenden Karten Antworten auf die Frage zu bekommen, was die Zukunft für einen bringen mag, muss man nur 1) eine Frage stellen und 2) die Zufallswiedergabefunktion des CD-Players einstellen, um schließlich 3) mit der sich so ergebenden Musik die Antwort auf die Frage zu bekommen“, erklärt Gebbia im Klappentext die Handhabung seiner „Wahrsager“-Musik. – Zum Schmunzeln! Vor allem aber zum Hören – die Musik, auch durch den Zufall immer neu angeordnet, ist exzellent.
Mathias Bäumel
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Donnerstag, 14. Mai 2009
Matthieu Donarier: „Optictopic“ (Yolk Records)
Seit 1997 mit einer solchen spannend-zupackenden und gleichermaßen lyrisch-nachdenklichen Musik auf Achse, legt Saxofonist und Klarinettist Matthieu Donarier mit seinem Trio seine erste CD vor, die strukturell vielseitige Kompositionen Donariers präsentiert. „Wir möchten die größtmöglichen Kontraste erreichen, wir möchten dem Publikum wahre Geschichten erzählen, wobei das Szenario von einer andauernden Freiheit geprägt sein soll“.
Das Resultat ist Jazz vom Feinsten, sind Klänge voller Überraschungen!
Mal gleiten Saxofon und Gitarre unisono über skurrile melodische Berg- und Tal-Linien, mal sinniert das Altsaxofon Donariers über die Einsamkeit des weiten, blauen Himmels und wird, ganz vorsichtig nur, von zarten Gitarrenklängen und Beckenklingen begleitet, dann wieder entstehen schier aus dem Nichts rockige Soundexzesse, rhythmisch gepeitscht und geschlagen von scharfen Drum-Attacken, zusammengehalten durch unbeirrbar suchende, raffiniert phrasierte Altsax-Improvisationen – bis plötzlich alle Instrumente störrisch, aber doch: zusammenfinden.
Fragile Motiv-Variationen, aufgespannt von Gitarre und Altsaxofon, entwickeln sich ins Nichts, nach einem Schweigen entsteht ein melodisches Vexierspiel, gezaubert von sprödem Gitarrensound, angereichert mit einem dunkelwarmen, ebenholzigen Klarinettenklang – Klingen, Schwingen, Ausschwingen, Ausklingen. Dann über Stock und Stein gerockt, gehoppelt, getanzt, geschlurft, gehetzt, gehinkt bis an die Gestade, zum Auf-und-Ab des weiten Wassers. Irgendwo da draußen schäumen und kräuseln die gischtigen Kronen. Tief darunter, dunklen, edlen Schatten gleich, kreisen gelassen die Haie. Musik – das heißt: burleske Töne vor der Gefahr.
Musiker:
Matthieu Donarier (sax, cl), Manu Codjia (git), Joe Quitzke (dr)
„Optictopic“, Yolk Records
Labels:
Joe Quitzke,
Manu Codija,
Matthieu Donarier,
Optictopic,
Yolk Records
Freitag, 24. April 2009
Miklós Dolinszky: Apokalypse, 21. Jahrhundert (apokryphisches Fragment)
Gábor Gadó: „Byzantinum“, BMC Records, BMC CD 137.
...
9. Und der Herr sprach: Lasst den Teufel nicht an euch heran. Denn indem man sich selbst als Gott wahrnimmt, sagt man auch, dass der Teufel in der Welt existiert.
10. Ihr müsst den Teufel bekämpfen und ihr müsst ihn besiegen, aber ihr dürft nicht sagen, dass der Teufel überhaupt existiert. Die Abwesenheit des Bösen ist nicht dasselbe wie das Gute.
12. Und dennoch sage ich euch: Ihr seid weder Gott noch Mensch, sondern ein göttliches Wesen (Tier).
13. Ihr sagt: Hier bin ich und hier ist die Natur, da dieses, wie es immer war, zwei verschiedene Dinge sind.
14. Deswegen habt ihr euch von der Natur entfernt; ihr habt die Natur um euch herum so wüst und einsam gemacht wie es eure Herzen sind.
15. In der Natur, die euch umgibt, habt ihr alle möglichen Variationen zerstört, da ihr selbst keine Kraft mehr habt, die Formenvielfalt der Natur zu ertragen; bereinigt die Natur von allem, was düster und undurchsichtig ist, da ihr nicht mehr seht, was in euch ist. Ihr habt Natur verschmutzt, verpestet und verfault gemacht, da schon der Ansatz für eure verpesteten und verfaulten Handlungen in sich selbst verschmutzt, verpestet und verfault war.
16. Ihr habt die Natur zu einem Feind erklärt; in eurer Blindheit seht ihr nicht, dass ihr selbst Teil einer natürlichen Ordnung seid; wer Natur zerstört, zerstört sich selbst.
17. Wer hat euch in den Kopf gesetzt, dass ihr die Herren der Welt seid? Wisst ihr denn nicht, dass die Erde lange bevor euch existierte und noch lange nach euch existieren wird? Ihr seid wie der Idiot, der sich auf eine stark befahrene Kreuzung begab und den ihn belächelnden Fahrern zum Trotz Fahrtrichtungsanweisungen gab, so als ob sie sich danach richten würden, nur weil er es so will.
18. Seht ihr denn nicht, dass ihr nicht mehr seid als das Gewürm der Erde? Oder die Blüte eines Apfelbaums, die schon von einem Windhauch leicht gelöst wird und in der Luft wie eine kleine weiße Wolke schwebt?
19. Ein einziger Windstoß, eine kurze Bewegung der Erde schon kann eure Häuser und Straßen zerstören; eine einzige Welle der Meere kann eure Städte von der Erde spülen; sobald es mehr als gewöhnlich regnet oder schneit, ertrinken eure Besitztümer und eurer Leben wird im Innersten erschüttert. Übermäßige Hitze oder Kälte kann euer Land zerstören und euer Vieh sterben lassen, eure Flüsse und Seen können austrocknen und so auch euren Tod bedeuten.
20. O törichter Mensch! Kannst du nicht begreifen, dass je mehr du die Natur zu besiegen glaubt, du immer seelenloser wirst, wie der Wurm?
21. Eure Erfindungen sind zahllos und wunderbar, sie zeigen euren Scharfsinn. Und doch: Je mehr Erfindungen es gibt, um so kleiner wird ihr tatsächlicher Nutzen. Und je mehr es von ihnen gibt, desto kraftloser werden sie, so als ob die Kraft eures Intellekts in ihnen eingeschlossen wäre. Und so wird aus dem wunderbaren Scharfsinn und dem göttlichen „Können“ nutzloses Spielzeug für Kinder.
22. Ihr habt aus euch selbst Kinder gemacht, die nicht an Morgen denken.
23. Und wie ein Kind, das zu weinen beginnt und Dinge wegtritt, wenn es nicht das bekommt, was es will, so seid ihr: Wenn die Ernte nicht ganz so reichhaltig ist oder die Steuern ein wenig erhöht werden und dadurch eure Bequemlichkeit eingeschränkt wird, dann seid ihr schnell beim Jammern und wollt jemanden zur Verantwortung ziehen. Dann jagt ihr die Politiker eures Landes davon und wählt die, die euch nur Honig ums Maul schmieren. Was also werdet ihr noch tun (können), wenn wirkliche Entbehrung auf euch zukommen und eurer Leben in Gefahr sein wird?
24. Am fähigsten seid ihr, einem Unglück zu begegnen, dass euch bereits zugestoßen ist; und doch habt ihr kaum Fähigkeiten, das Unglück selbst zu meiden.
25. Lebenshilfen gibt es in Hülle und Fülle, doch wie man das Leben selbst lebt, habt ihr vergessen.
26. Ich sage euch: Eure Vorfahren haben möglicherweise größere Entbehrungen erlebt als ihr; und doch war ihr Geist freier und eine größere Gelassenheit herrschte in den Häusern der Menschen.
27. Der, der frei ist, spricht nicht von Freiheit, weil er nicht weiß, was es sein könnte; ihr sprecht andauernd von Freiheit, aber das Wort selbst ist bar jeder Bedeutung und ihr seid in Wirklichkeit Sklaven.
28. Die vielen Reden über Freiheit engen die Freiheit selbst ein; in Wirklichkeit erzittert ihr vor der Freiheit und sucht nach Menschen, dir euch leiten – und ihr sucht nie vergebens.
29. Oh, ihr Toren! Ihr gebt den Menschen grenzenlose Freiheit und wenn ihr erkennen müsst, dass daraus nur Verwirrung erwächst (nicht durch die Freiheit, sondern durch ihre Grenzenlosigkeit), seid ihr bestrebt, die Menschen in grenzenlose Sklaverei zu führen; grenzenlose Freiheit ist auf eine unheimlich Art der Sklaverei gleich.
30. Ihr gebt den Menschen vor, was niedrig und minderwertig ist und ihr zeigt es ihnen in Schrift und Bild, so, dass viele eurer Meinung folgen und ihr eigenes Ich erkennen mögen; doch Jener, der nach dem Guten und damit Gottähnlichen sucht und der sich nicht besudeln will muss sich verstecken und vor sich selbst schämen, als wäre er von der Krätze oder von Läusen befallen. Und doch ist er nur verschieden von der Masse.
31. Wenn jemand den Herrgott verleugnet sagen würde, dass er stolz ist, dass in ihm kein göttlicher Teil ist, weil er „nur“ Mensch ist, so sage ich euch, dass dieser Jemand nicht mal wert ist, ein Mensch zu sein.
32. Denn ohne Gott ist der Mensch ein Nichts.
33. Der Mensch hat keine Demut mehr und doch ist Demut – wie auch die Dunkelheit – eine Möglichkeit, das heilige Licht des Himmels zu sehen.
34. Ihr habt die Wissenschaften erfunden, weil ihr euch nicht länger zu glauben getraut. Das bedeutet, dass ihr nicht länger die Wirklichkeit eines Beweises glaubt, der nicht belegt werden kann. Deswegen glaubt ihr an das Idol der Wissenschaft als Gottesersatz.
35. Ihr sagt von euch selbst, dass ihr aufgeklärt („enlighted“ wortwörtlich auch „erleuchtet“) seid. Dennoch lebt ihr in Dunkelheit, weil euer Licht nur das schwache Licht der Erde ist.
36. Wahrlich sage ich euch: Euer Licht kann jeden Augenblick erlöschen, doch mein Licht wird ewig leuchten.
37. So viel hatte der HERR gesagt, doch sie hörten ihn nicht. Dann entfesselte der Herr vielfaches Leid, dass er den Menschen sandte und in schrecklichen Feuersbrünsten und Fluten fanden viele den Tod.
38. Dennoch: Als die heilige Zerstörung beendet war, blieb die Menschheit.
39. Die, die blieben, hatten nichts und sie lagen unter dem bloßen Himmel bei den Ruinen und bejammerten den Tod ihrer Lieben. Und doch fühlten sie sich reiner als bisher.
40. Jetzt, wo sie dem Untergang geweiht waren, erkannten sie, dass sie alle Brüder und deswegen nicht allein waren.
41. Menschen, die sie vorher voneinander abgewendet hätte, wenn sie sich auf der Straße begegnet wären, grüßten sich nun aus vollem Herzen und sprachen bereitwillig miteinander, da sie nun wussten, dass Menschen sich nicht feindlich gesonnen sein sollten.
42. Sie sprachen nicht länger berechnend miteinander, wie sie es vorher getan hatten um einander Falles zu stellen; sonder sie sprachen miteinander so, wie es ihnen ihr Herz vorgab; und sie waren freundlich zueinander.
43. Und die Menschen erfreuten sich an ihrem Gegenüber und sie waren glücklich, wenn dieser anders war, denn im Anderssein war er ihnen gleich. Und so öffneten sie ihre Herzen.
44. Und sie akzeptierten die andere Person als ihn selbst und lernten so auch besser über sich selbst Bescheid.
45. Ihre Gedanken sind nicht ihr Eigentum, sondern nur Teil dessen, was alle Menschen denken – so wurde die Seele der Menschen frei und schreckte nicht vor den anderen zurück.
46. So, wie vor der Zerstörung jeder für sich selbst lebte, waren nach der Zerstörung alle Herzen eins.
47. Die Häuser, Straßen, Brücken und Hochhäuser waren zerstört worden und gemeinsam mit ihnen hatten sich auch die Staaten, Parteien, Firmen, Organisationen, Gremien und Institutionen aufgelöst, die nicht zuletzt die Mitmenschlichkeit zerstört hatten. Und die Menschen kamen einander wieder näher, nicht nur körperlich (das es zwischen ihnen nun keine Mauern mehr gab, sondern nur noch die reinen Körper, die ihnen die Natur gegeben hatte), sondern auch im Geiste: Denn die Mauern, die die Menschen in Gestein aufgebaut hatten, existierte längst auch in ihren Köpfen. Und jetzt gab es nichts mehr, was die Menschen trennte.
48. Und das Leben des Menschen wurde abermals einfach.
(Aus der alt-englischen Version dankenswerterweise übersetzt von Steffi Eckold.)
Dieser Text ist von Miklós Dolinszky extra für die CD „Byzantinum“ (Gábor Gadó) geschrieben worden und der CD (BMC CD 137) beigelegt.
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